Beruhigungstropfen

Das erinnert mich an eine Neujahrsansprache im DDR-Fernsehen, irgendwann in den 60-ern.
Um die zwar langsam aber stetig wachsenden Verbesserungen für die Bevölkerung anschaulich zu präsentieren, griff der Sprecher tief in die Klamottenkiste:
„Noch vor wenigen Jahren seien die Leute mit nem Kienspan zu Hause rumgerannt – jetzt gibts überall elektrischen Strom.“ [Gedächtnisprotokoll]
Da klappte sogar meiner Mutter („Nie wieder Sozialismus“) der Unterkiefer runter. Der Sprecher bekam sofort den Spitznamen „Kienspan“ – ah sieh mal, der Kienspan erzählt uns wieder was – denn eine Zeit ohne Strom kannte keiner von uns. Wenn auch bei stärkeren Stürmen an der Küste in Lubmin öfter mal das Päckchen „Haushaltskerzen“ bemüht wurde. Wie gesagt: Früher. Ach übrigens, wir hatten im Nordosten nur DDR-Fernsehen.

Ja der Trick ist alt, wird aber immer wieder benutzt. „Seht, wie es früher war und wie gut es uns heute geht!“
Hier nun ein paar stümperhafte Trostpflästerchen für´s Volk, präsentiert von Spiegel-Online und Guido Mingels, anhand von Zahlen, Statistiken und Geplapper. Für alle, die sich gut und gerne zurücklehnen wollen, und natürlich in leichterer Sprache:

 

Doch ein Blick zurück kann uns Mut für die Zukunft machen. Denn zum Beispiel im Jahr 1970 war die Welt noch ungerechter als heute.

Während die Ungleichheit innerhalb vieler einzelner Länder zunimmt, nimmt sie global betrachtet ab. Die Reichen werden wohlhabender; die Armen aber auch.

Tatsächlich sterben heute viel weniger Menschen an Unterernährung als vor einigen Jahren

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Banküberfälle enorm gesunken.

 

Ja,  früher war alles schlechter – will man uns unterjubeln. Wann war das überhaupt? Für mich bezieht sich das auf 35 Jahre DDR-Lebenszeit.

Und da war nun wirklich alles besser.


Gestern hatte ich meinen letzten Arbeitsamt-Termin. Ich gehe ab Januar und etwas früher in Rente und wir hatten da unser Abschiedsgespräch. Natürlich ging es auch um meine DDR-Vergangenheit und wieviel besser ich da lebte. Gerade als Arbeiter.
„Aber die Mauer wollen Sie bestimmt nicht zurückhaben?“
„Doch. Ich möchte meine DDR zurückhaben.“
„Das wird wohl so schnell nichts werden.“
„Ich weiß, deswegen brauchen wir eine Revolution“.

Da habe ich doch meiner Sachbearbeiterin ein breites Lächeln auf´s Gesicht gezaubert.

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