Sommerloch, Geschichte und Stasibunker

Es war soweit: Am Donnerstag bekam Achim eine Einladung zu einem Seniorentreffen im ehemaligen Stasibunker Hohenhausen, jetzt „Mahn- und Gedankenstätte der Unterdrückten der zwei deutschen Diktaturen“. Als ehemaliger Antragsteller „auf Einsicht in die Stasi-Akten“, nahm er automatisch an einer Tombola für da- und ehemalige Oppositionelle teil. Reisekosten, Kaffee und Kuchen – gab´s umsonst. Dafür mussten sie aber alle eine Einwilligung, fotografiert zu werden, unterschreiben.

Wie schlimm das alles in der DDR war, hatte Achim erst nach 1990 im Westfernsehen erfahren. Unglaublich, dachte er jedes Mal, denn von Tigerkäfigen, Wasserfolter und Zwangspinkeln, hatte er vorher nie was gehört. Westfernsehfreie Zone eben; er überlebte damals in Greifswald. Da konnte er ja nun überhaupt nicht erfahren, was im eigenen Land so los war.
Und auch heute, 28 Jahre nach der friedfertigen Inkorporation seiner Heimat, hörte das nicht auf. Irgendwas abartig Böses aus der DDR-Zeit wird immer noch aufgedeckt und das ist vielleicht gut so, dachte Achim. Da muß ja was dran gewesen sein, so oft wie man das hört und liest.

In Berlin-Hohenhausen angekommen empfing ihn der Leiter der Gedenkstätte, Direktor Hubert Junge, persönlich. Der ehemalige Bürgerrechtler und heutige Chefaufarbeiter grinste breit und lud ihn zu einem Kaffee ein. „Original Mokkafix“, sagte er, „damit´s authentischer ist“.
Während Achim seinen Kaffee unauffällig in die Tasse zurückspuckte, es war nämlich kein Mokkafix, peilte er die Lage. Eine Frau im Rollstuhl, 2 Ex-Soldaten (vermutete er) und ein Greis mit Gitarre.
„Wir hätten auf 40 Dissidenten kommen sollen, laut Einladung.“ Vielleicht war aber auch das Wetter zu heiß für solche Unternehmungen.
Ein geschätzt 70-jähriger DJ, welcher in der DDR nach eigener Aussage Berufsverbot hatte, legte am späten Nachmittag zur Unterhaltung auf. Westmusik, natürlich.

Höhepunkt des Abends war die „Mauerpolonaise“. Entlang einer Styropor-Begrenzung, welche der Berliner Mauer nachempfunden war, ging es über zwei Etagen rund. Vorneweg Hubert, welcher Uschi, die Frau im Rollstuhl, schob, danach Peter und Max, die zwei NVA-Offiziere. Der Gitarrist und Achim folgten. Das Ganze dauerte 10 Minuten und Achim kam mächtig ins Schwitzen. Aber dafür wusste er jetzt, warum eine Flucht über die Mauer, schon damals nicht in Frage kam.

Zur Nachtruhe bekam jeder der Teilnehmer einen symbolischen Ausreiseantrag und ´ne Pritsche in einer barrierefreien Folterzelle.
„Gute Nacht“ rief Hubert und „Nie wieder Kommunismus“.

„Nacht“, murmelte Achim und gähnte. Er schlief schlecht und träumte von Uschi, die mit Pirouetten im Rollstuhl, die Polonaise zu Platzen brachte, von Albrecht Silber-Kaffee und einem Diskotheker, welcher in der DDR Berufsverbot bekam, weil er einen ganzen Abend nur“ Polonaise Blankenese“ spielte. Wer die 60/40 Ost-West-Zwangsquote in der öffentlichen Tanzmusik nicht einhielt, bekam früher richtigen Ärger. Hatte er geträumt.
`Zum Glück ist das jetzt völlig anders´, dachte Achim und summte: „Wir ziehen los, mit ganz großen Schritten…“

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